Vorgestern Demonstration gegen „weniger Pestizide“, gestern „gegen den Artenschutz“, heute „für Tönnies Schlachtmaschinerie“! Sind Bauern gegen alles?

Landwirte stemmen sich vehement gegen das Volksbegehren Artenvielfalt. Warum eigentlich? Es ist doch echte und direkte Demokratie und sie bekommen – gesetzlich gesichert – Geld für Umweltleistung!

Kann es sein, dass der Bauernverband und das Landvolk ihre Mitglieder (wissentlich) falsch informieren? Soll es wieder Geld von der Bevölkerung geben – ohne verbindliche Gegenleistung?

Die Aussagen der Vertreter des Landvolkes oder des Bauernverbandes klingen vertraut haben stets das gleiche Muster. „Wir Landwirte sind die Opfer!“, „Wir sehen das sehr kritisch!“, „Die Messungen für Nitrate sind falsch!“, „Die Kritiker sind nicht glaubwürdig!“, „Die Verbraucher sind schuld!“. Diese Liste lässt sich beliebig fortführen. Aber hatten wir das nicht schon mal? Was wurde damals gesagt bei der Diskussion um Roundup (Glyphosat)? Da hieß es vom Landvolk-Vorsitzenden Jörn Ehlers am 23. Juni in der Kreiszeitung, dass die privaten Haushalte erst einmal anfangen sollen Roundup nicht mehr zu nutzen. Nun sagt er „Erst einmal sollen die „Privaten“ mit ihren Steingärten beginnen die Biodiversität wieder zu verbessern“. Bedenkliche Rhetorik!

Skandale wie Tönnies können manchmal höchst segensreich sein. Sie zeigen das ganze Ausmaß der Missstände und der Qualen bei der Nutztierhaltung und -Verwertung.

Seit Jahren sträubt sich die Agrarlobby gegen Reformen und die Landwirtschaftsministerin schwadroniert über Freiwilligkeit. Das Ausbeutungssystem schien durch die andauernde Blindheit der Politik wie in Stein gemeißelt. Herr Tönnies – der durch dieses System Milliardär wurde und Verursacher des Corona-Ausbruches in seinem Schlachtbetrieb ist – stellt nun einen Antrag auf Erstattung von Lohnkosten für die Zeit der Corona-Quarantäne. Wie krank dieses – von der Agrar- und Lebensmittellobby – installierte System ist, zeigt sich jetzt, und zwar für alle sichtbar.

Dieses System bedrängt und nötigt die LandwirtInnen immer billiger und mit immer mehr Abhängigkeit von Subvention ihrem Beruf und ihrer Existenz nachzugehen. Unter diesem Druck ist es mehr als verständlich, dass jeder Quadratmeter Land für die Produktion herhalten muss. Gefangen in diesem System ist es schwer einen Weg zu finden. Dafür habe ich vollstes Verständnis.

Was hat das nun mit dem Volksbegehren Artenvielfalt zu tun? Es geht um verbindliche Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz der Natur und der Artenvielfalt. Jeder weiß, dass „Freiwilligkeit“ bei uns Menschen Grenzen hat.

So suchen viele von uns nach dem besten Schnäppchen und greifen zu billigeren Lebensmitteln, Kleidung und Elektronik, wenn sich die Gelegenheit bietet. Das liegt in unserer Natur und ist ein ganz normales Verhalten. Deshalb muss die „Vorsorge zum Erhalt der Natur“ – also unserem Lebensraum – auch im Gesetz verankert werden.

Mit der Vereinbarung „Niedersächsischer Weg“ ist zumindest nun auch beim Landvolk akzeptiert, dass der Artenschwund real ist. Hier scheint ein breiter Konsens mit der Mehrheit der Bevölkerung zu bestehen. Das ist schon mal ein guter Ausgangspunkt. Was ist aber der Unterschied zwischen dem „Niedersächsischen Weg“ und dem „Volksbegehren Artenvielfalt“?

Während der „Niedersächsische Weg“ von einer Handvoll Lobbyisten auf dem Niveau des kleinsten gemeinsamen Nenners ausgehandelt wird, ist das „Volksbegehren“ gesetzlich verbindlich.

Hier haben alle Wahlberechtigten Niedersächsinnen und Niedersachsen eine Stimme, die zählt und das ist echte und direkte Demokratie. Das „Volksbegehren“ ist frei von LobbyistInnen und führt am Ende zu einem Gesetz, welches in der nächste Legislaturperiode mit neuen politischen SpielerInnen nicht wieder gekippt werden kann. Ist das zum Nachteil der bäuerlichen Landwirtschaft? NEIN, denn es regelt – über alle politischen Zeiträume hinweg – die gesetzlich beschlossene finanzielle Honorierung der BäuerInnen für Naturschutzmaßnahmen. Der hierfür veranschlagte Haushaltsplan ist schwarz auf weiß auf jedem Unterschriftenbogen einzusehen. Das nenne ich „verbindlich“!

Freiwillig mehr Tierwohl, freiwillig weniger Gülle und Pestizide, freiwillig die Wegeränder nicht überpflügen haben trotz aller Versprechen nicht funktioniert.

Wir Bürgerinnen und Bürger dürfen uns nicht weiter mit leeren Versprechungen und Verträgen auf Freiwilligkeit abspeisen lassen. Es gibt keine Beispiele, die bestätigen können, dass Verhaltensänderungen freiwillig funktioniert hätten. Wer von uns hätte freiwillig auf das Fliegen, den Urlaub und Konsum verzichtet? Bestätigung, dass es möglich ist, hat uns unfreiwillig das Coronavirus geliefert.

In diesem Sinne, denken Sie langfristig, unterschreiben Sie das Volksbegehren Artenvielfalt und bleiben Sie gesund.

Ihr Hans-Jürgen Schnellrieder